Langschläfer
Es gibt die diversesten Tierarten. Angefangen beim Floh bis hin zur Giraffe – alles dabei. Und auch Menschen kann der Zoologe in diverse Schubladen packen, die Schublade schließen und erst wieder herausholen, wenn er frische Socken benötigt, die er ebenfalls in eben diese Schublade geschmissen haben mag.
Ich selbst gehöre der Gattung der Langschläfer an, und manchmal beneide ich meine Mitmenschen, die eher in der Schublade der Kurzschlafenden leben. Anscheinend ist es nun einmal so, dass diese Menschengattungsart bevorteilt ist, weil sie dem angepassteren Zeitschema folgt.
Am Schlimmsten für mich, dem Faultier in Menschengestalt, sind die Weckanrufe zu unmenschlichsten Zeiten. Wer es wagt, meine Telefonnummer vor 8 Uhr in der Früh zu wählen, muss mit einer wenig aufmerksamen Zuhörerin rechnen.
Weniger schön ist es, wenn jemand Wichtiges von meinem Arbeitgeber anruft, weil sie noch ganz, ganz dringend jemanden bräuchten, der ihnen unter die Arme greift. Und besonders schlimm ist es, wenn sie mich aus dem Schlaf gerissen haben und ich halb träumend den Hörer vom Telefon grabsche.
„Was?“, lalle ich dann. Und: „Ja, klar, kann ich machen.“ Und: „In einer halben Stunde? Ja, ja, mache ich.“ Und dann ertappt sie mich: „Habe ich Dich etwa aus dem Schlaf gerissen?“, fragt mich die Kollegin.
„Was? Hä? Ähh ...“ - Ich versuche mit diversen Ausrufen und Grunzlauten Zeit zu schinden und sehe während meines Ablenkungsmanövers nach, wie spät es ist. Es ist kurz vor 7 Uhr. Normal hätte ich heute frei. Wie rede ich mich jetzt heraus? In dieser, unserer Arbeitsgesellschaft ist es doch schließlich verpönt, bis in die Puppen zu schlafen. „Ja, ich habe noch geschlafen“, gebe ich zu, „Schönheitssschlaf!“
Eine wirklich kreative Notlüge, wenn man bedenkt, dass meine Hirnwindungen noch kaum mit Blut und Sauerstoff durchströmt sind und ich eigentlich noch vor mich hinschlummere. Statt Schlafwandlerin bin ich ein notorischer Schlaftelefonierer. Vielleicht sollte ich meinen Wecker doch einmal auf eine angepasstere Weckzeit stellen - sagen wir 7 Uhr? Eine schlechte Idee! Viel zu früh. Eine viel zu unmenschliche Zeit für eine Langschläferin.
„Dann lege Dich mal besser erst Mal wieder hin“, sagt die Kollegin, „ich habe noch ein paar andere Mitarbeiter auf meiner Liste, die ausgeschlafener sind als Du. Einen gesunden Weiterschlaf wünsche ich Dir und geniesse Deinen freien Tag.“
„Selber!“, denke ich mir und lege mich zurück in mein Bett, das glücklicherweise noch eine gemütliche Restwärme ausstrahlt.
Und dann klingelt das Telefon wieder. Und dann reiße ich meine Augen sperrangelweit auf. Und dann ist meine Freundin am Apparat, die mich besuchen will.
„Ich komme in zwanzig Minuten vorbei, ist das okay?“, fragt sie mich.
„Eine Stunde“, gähne ich in den Telefonhörer, „ich brauche eine Stunde. Du hast mich geweckt.“
„Ich gebe dir eine halbe Stunde“, handelt sie mit mir.
„Eine dreiviertel Stunde. Mein letztes Angebot!“
Und dabei bleibt es. Ein letzter Blick auf mein Bett, in welchem meine Katze noch immer den Schlaf der Gerechten vor sich hin träumt, und schon geht es unter die Dusche. Ich hätte noch so lange schlafen können. Mindestens drei Stunden! Ich bin totmüde.
Wenigstens bekomme ich so etwas Übung im Handeln. Eine dreiviertel Stunde! Jetzt muss ich mich aber wirklich abhetzen. Hoffentlich fällt das Rabattgesetz bald, denn dann kann ich Profit daraus ziehen, dass ich mit meinem Freundin geübt habe, wie man seine Wach- und Fertigmachzeit aushandeln kann.
Vielleicht kann ich auf die gleiche Art auch die Preise von Lebensmitteln drücken. Wieviel ich sparen könnte! Ich freue mich schon darauf, wenn das Rabattgesetz fällt. Dann bin ich nämlich eine gemachte Frau. Jawohl! Selig seien die Langschläfer, denn ihnen gehöre das Kommerzparadies. Hoffentlich.